Was von Corona bleibt: Wie online-Kurse das Lehren verändern

13.01.2024

Mit dem Online-Yoga hat es bei mir erst so richtig angefangen mit dem Unterrichten von Kundalini Yoga – während der Pandemie. Viele Lehrer*innen hatten keine Lust, online zu unterrichten, Yogastudios mussten schließen – es gab nur die beiden Optionen: Online Yoga oder kein Yoga. Ich hatte Lust, es auszuprobieren und habe den Präsenzkurs meiner Lehrerin übernommen, die nicht bereit war für Online-Unterricht. Diesen Kurs unterrichte ich bis heute online. Ein Grund dafür ist, dass es sehr schwer ist, bezahlbare Räumlichkeiten in der Großstadt zu finden. Ein Weiterer: man hat sich an das Format gewöhnt. Manche berichten, es sei angenehm, abends nicht mehr aus dem Haus zu müssen, einfach nur den Rechner anzuwerfen und nach dem Unterricht direkt ins Bett zu schlüpfen. Ein weiterer großer Vorteil des Online-Unterrichts ist die Reichweite. Ich habe mich auf das Thema Vagus-Nerv spezialisiert, und niemand kannte mich zu Beginn. Da war es online sehr viel leichter, ausreichend Teilnehmende für einen Kurs zu gewinnen und das Thema durch Online-Marketing bekannter zu machen.
Ein weiterer Vorteil des Online-Unterrichtes ist die Aufzeichnung, die man anbieten kann, wenn jemand nicht live dabei sein kann oder die Stunde noch einmal wiederholen möchte. Dies führt bei meinem Unterricht allerdings manchmal dazu, dass wenige Teilnehmende dabei sind und ich manche noch nie gesehen habe. Einmal habe ich ohne Teilnehmerinnen unterrichtet und musste meine Vorstellungskraft benutzen. Dies war ein seltsames Gefühl, denn ich will eigentlich keine reinen Videos produzieren.
Für mich ist der Online-Unterricht nicht mehr wegzudenken als Lehrerin. Dennoch bevorzuge ich Präsenzunterricht und freue mich jedes Mal wieder, eine Gruppe vor mir sitzen zu haben. Auch wenn man vor und nach dem Online-Unterricht immer ein wenig miteinander sprechen kann, ist es doch anders, wenn man sich noch persönlich austauscht. Gerade für das Nervensystem ist es so wichtig, sozial zu interagieren. Auch wenn hinter einer Zoom-Kachel ein Mensch steckt, so ist er oder sie doch nicht so energetisch präsent, wie wenn man sich live und in Farbe begegnet. Der Online-Unterricht ermöglicht, vieles – auch im Ausland – auszuprobieren: verschiedene Lehrer*innen, Yogastile, Themenbereiche. Doch schon beim Eintunen ist klar: es ist nicht dasselbe. Das Mantra vibriert in mir allein, die Stimmen der anderen fehlen.
Mit Hybrid-Unterricht habe ich bislang wenig Erfahrung und bin auch nicht daran interessiert, die beiden Formate zu kombinieren. Es löst Stress aus, wenn man sich gleichzeitig um die Menschen vor Ort, die Online-Teilnehmenden und die Technik kümmern muss (außer eine zweite Person oder ein Studio kümmert sich darum). Ich sitze sowieso schon viel zu viel vor dem Rechner, da heutzutage so gut wie alles online läuft. Der Psychologe Craig Brod hat bereits 1984 den Begriff "Technostress" geprägt für die Monotonie der Bildschirmarbeit auf der einen und die hohe Komplexität auf der anderen Seite. Die Digitalisierung hat sich seither rasant weiterentwickelt in einem Ausmaß, das unser tägliches Leben zutiefst prägt, vieles erleichtert, aber auch gesundheitliche Folgen hat, deren Konsequenzen noch nicht ausreichend erforscht sind.
Da die Belastung des Nervensystems eben genau mein Thema ist, an dem ich arbeite und das ich weitergebe, ist es mir persönlich wichtig, immer wieder "digital detox" einzulegen, zum Beispiel in der Natur sein und natürlich in Austausch mit anderen Menschen ohne digital device dazwischen. Der Wandel der Zeit bringt viele Vorteile und ist nicht mehr wegzudenken. Es bedeutet für mich, dass auch die Art des Unterrichtens angepasst werden muss auf die belasteten und überreizten Nervensysteme, um durch das Yoga nicht noch mehr Druck aufzubauen. Jede*r sollte selbst entscheiden, welche Form des Unterricht(en)s für ihn oder sie passt. Ich selbst besuche nur zur Not Online-Kurse, wenn mich das Thema brennend interessiert. Ansonsten nutze ich jede Möglichkeit, dem Technostress zu entkommen, persönlich mit Menschen zu interagieren und zu kommunizieren. Nur so entstehen tiefere Bindungen, das soziale Interaktionssystem wird aktiviert, und das autonome Nervensystem kommt in den Zustand der sozialen Zugewandtheit, Entspannung und Kommunikation. In meinem Unterricht möchte ich genau diesen Zustand für alle Teilnehmenden erreichen. Und das fängt natürlich bei mir selbst an.

Quelle: Kundalini Yoga Journal, Ausgabe 48 / Dezember 2023